Radfahrerverein warnt: Etwa 10% des gesamten Wegenetzes in Sachsen von Betretungsverbot bedroht
Die Gerichtsentscheidung zur Öffnung des Wanderwegs vom Gasthof Buchholz nach Dippelsdorf hat auch beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club Sachsen (ADFC) Aufmerksamkeit erregt. Moritzburgs Bürgermeister Jörg Hänisch hatte im Herbst einen Prozess gegen einen Grundstücksbesitzer gewonnen, der einen Weg über sein Privatgrundstück mit einem verriegelten Tor gesperrt hatte und die öffentliche Nutzung des Wegs ausdrücklich verboten hatte.
Das Gericht gab der Gemeinde Moritzburg Recht. Obwohl der Weg nicht im Bestandsverzeichnis der Straßen, Wege und Plätze der Gemeinde aufgenommen ist, müsse die Wegeverbindung für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Grundlage dieser Entscheidung ist eine Regelung im sächsischen Straßengesetz, die so genannte Widmungsfiktion. Bei Wegen, die zu einem bestimmten Stichtag im Februar 1993 öffentlich genutzt wurden, geht der Gesetzgeber davon aus, dass sie der Öffentlichkeit gewidmet sind, ganz gleich, ob ein Eintrag im Bestandsverzeichnis existiert oder nicht.
Doch ein solches Verfahren wird für öffentliche Wege, die von Privateigentümern gesperrt werden, bald in vielen Fällen nicht mehr möglich sein. Ende 2022 werden alle öffentlichen Wege, die nicht im Straßenbestandsverzeichnis eingetragen sind, zu Privatwegen. Etwa 10.000 km seien dies in Sachsen, schätzt der ADFC.
"Wir gehen davon aus, dass ab 2023 viele öffentliche Wege auf privatem Grund nicht mehr öffentlich nutzbar sind und von den Besitzern gesperrt werden." befürchtet Konrad Krause, Geschäftsführer des ADFC Sachsen. Das betrifft sowohl Wander- als auch Radwege, weshalb sich Sachsens Fahrradclub seit geraumer Zeit mit diesen so genannten Wegen mit fiktiver Widmung beschäftigt.
Damit es nicht zum Desaster kommt und tausende Kilometer Wege verloren gehen, fordert der ADFC, gemeinsam mit vielen anderen Akteuren Nachbesserungen von der Politik. "Die Kommunen brauchen mehr Zeit, um ihre Wegenetze systematisch zu durchforsten und nötige Wegeverbindungen zu sichern." sagt Krause. Neben dem ADFC unterstützen auch zahlreiche andere Akteure dieses Anliegen, unter anderem der Fachverband Fußverkehr sowie die Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer Sachsen e.V. und zahlreiche Akteure der Landwirtschaft.
"Das Moritzburger Beispiel zeigt auch: Aktuell ist es aktuell noch vergleichsweise einfach, gegen solche Sperrungen von öffentlich genutzten Privatwegen vorzugehen." sagt Krause. Doch mit dem Jahr 2022 läuft die Frist ab, in der Gemeinden solche Wege, die von jeher öffentlich waren, ohne viel Aufwand in ihre Bestandsverzeichnisse aufnehmen können. "Unglaublich viele bisher öffentliche Wegeverbindungen für den Radverkehr, für Wanderer und Touristen sind in akuter Gefahr. Das Ausmaß des Schadens scheinen die meisten Entscheidungsträger noch gar nicht zu überblicken" fasst Krause das Problem zusammen. Etwa 10% aller Wege in Sachsen könnten der öffentlichkeit für immer entzogen werden. "Die Uhr tickt", warnt der ADFC-Geschäftsführer.
Hintergrund
Bei dem Wanderweg in Moritzburg handelt es sich um keinen Einzelfall. Vielmehr sind sachsenweit Rad- und Wanderwege betroffen. Auch in Malschwitz bei Bautzen sperrte erst kürzlich der Grundstückseigentümer plötzlich einen Abschnitt des Spreeradwegs und stellte Anwohner und Gemeindeverwaltung vor vollendete Tatsachen.
Plötzliche Sperrungen ereigneten sich auch im Tharandter Wald durch die Deutsche Bahn, der das Weggebiet gehört, sowie in Hilbertsdorf, wo der schwarze Weg blockiert wurde. Der Firmenbesitzer, über dessen Grundstück der weg verläuft, ließ ein Tor anbringen. Auch in Cunnersdorf treffen Radfahrende und Wanderer auf geschlossene Tore des Schlossbesitzers, wenn sie den früher öffentlich zugänglichen Weg am Schloss nutzen möchten. Ähnliches ereignete sich auch in Baderitz, wo der Besitzer ein Sperrschild aufstellte, da es zwischen ihm und der Gemeinde jahrelang zu keiner Einigung kam.
Ab 2023 drohen für Wege wie den Weg am Gasthof Buchholz Einschränkungen bis hin zur kompletten und endültigen Sperrung. Der Rechtsweg, wie ihn die Gemeinde Moritzburg in diesem Fall erfolgreich beschritten hatte, ist durch die Änderung des Sächsischen Straßengesetzes dann nicht mehr möglich. Allein in Dresden sind etwa 10% des städtischen Radverkehrsnetzes betroffen. Noch werden die Konsequenzen der Gesetzesänderung und der daraus resultierende Handlungsbedarf von vielen Gemeinden nicht erkannt oder bleiben unbeachtet.
Sachsenweit sind nach Schätzungen des ADFC etwa 10.000 km von insgesamt etwa 120.000 km Wegenetz betroffen. Gerade für den Alltagsradverkehr und den Radtourismus sind solche kleinen Verbindungen im ländlichen Raum, aber auch kleine Parallenwege in der Stadt oft die sichere Alternative zu stark befahrenen Straßen. Nur noch bis zum 31.12.2020 können Betroffene Wegeabschnitte bei ihren Gemeindeverwaltungen zur öffentlichen Widmung melden, die bisher nur "fiktiv gewidmet" sind. Die Gemeinde Moritzburg konnte den Weg noch rechtzeitig für die Öffentlichkeit bewahren.
Deshalb sind die Gemeinden bis dahin gefragt, diese bislang „fiktiv gewidmeten“ Wege der Öffentlichkeit zugänglich zu halten, indem diese in die Bestandsverzeichnisse der Gemeinde eingetragen werden. Sie haben die Möglichkeit dazu noch bis Ende 2022. Angesichts des enormen Wegenetzes ist dies aus Sicht des ADFC Sachsen eine zu kurze Frist.
Quellen
- www.adfc-sachsen.de/index.php/791-jetzt-handeln-nutzung-von-rad-und-gehwegen-in-gefahr
- www.sachsenswege.de
- www.saechsische.de/spreeradweg-fuehrt-wieder-durch-die-teiche-3969898.html
- www.tag24.de/nachrichten/tharandter-wald-rad-absperrungen-colmitz-naundorf-wanderer-fahrradfahrer-295752
- www.freiepresse.de/beliebte-abk-rzung-k-nftig-versperrt-artikel9966025
- www.freiepresse.de/schranken-versperren-den-wildenfelser-weg-artikel10214993