Landesversammlung übt Kritik an Sächsischer Staatsregierung
Am vergangenen Samstag haben die Mitglieder des ADFC Sachsen auf ihrer Landesversammlung einen neuen Vorstand gewählt. Niklas Schietzold wurde als Vorsitzender bestätigt. Neu im Vorstand des ADFC Sachsen sind Stephanie Anderseck aus Dresden und Rosalie Kreuijer aus Leipzig. Weitere Mitglieder des Vorstands sind Janek Mücksch aus Dresden sowie René Gerullis und Michael Berninger aus Leipzig. Der neue Vorstand ist für zwei Jahre gewählt.
In einem einstimmig gefassten Beschluss kritisierte die Landesversammlung außerdem die sächsische Staatsregierung für ihre Halbzeitbilanz beim Radverkehr in Sachsen. Nach zweieinhalb Jahren schwarz-grün-roter Koalition stellten die Delegierten der Staatsregierung ein schlechtes Zeugnis aus. „Der Radwegebau außerorts ist zum Stillstand gekommen, die sächsischen Kommunen werden von der Staatsregierung oftmals allein gelassen und eine ernsthafte Verkehrssicherheitsarbeit sucht man in Sachsen bisher vergebens. In der Kritik der Regierungsarbeit herrscht Einigkeit bei unseren Mitgliedern. Im Koalitionsvertrag hat sich die Kenia-Koalition das Ziel gesetzt, den Anteil der mit dem Rad zurückgelegten Wege bis 2025 zu verdoppeln. So wie es bisher aussieht, wird Sachsen dieses Ziel nicht ansatzweise erreichen“, sagt Konrad Krause, Geschäftsführer des ADFC Sachsen.
Viele Punkte aus dem Koalitionsvertrag, auf die sich die Kenia-Koalition 2019 einigte, werden schlichtweg nicht umgesetzt. So verständigte man sich 2019 darauf, beim Neu- und Ausbau von Staatsstraßen immer einen Radweg mitzubauen. Vielerorts ist das aber nicht der Fall. „Auch wollten CDU, SPD und Grüne die Kommunen bei der Förderung des Radfahrens finanziell stärker unter die Arme greifen. Stattdessen nutzt Verkehrsminister Martin Dulig Gelder aus dem Klimapaket, um die eigenen Landesmittel herunterzufahren. Das darf sich im kommenden Doppelhaushalt des Freistaates nicht wiederholen“, erklärt Konrad Krause.
Dennoch kann der ADFC Sachsen auf ein erfolgreiches Jahr 2021 zurückblicken: Mit 1.078 Neueintritten wuchs der sächsische ADFC im letzten Jahr auf über 8.600 Mitglieder. Immer mehr Menschen nutzen das Rad auf ihren Wegen im Alltag und der Freizeit.
Dass die Landespolitik den veränderten Mobilitätsbedürfnissen nicht gerecht wird, zeige im Übrigen auch der Fahrradklima-Test des ADFC. Hier forderten zuletzt zwei Drittel der Sachsen ein stärkeres Engagement der Politik für den Ausbau des Radverkehrnetzes.
Hintergrund
Im sächsischen Koalitionsvertrag hat sich die schwarz-grün-rote Koalition Ende 2019 ehrgeizige Ziele für den Radverkehr gesetzt. Nach zweieinhalb Jahren wurde aber tatsächlich wenig umgesetzt.
So definiert der Koalitionsvertrag, dass beim Neu- und Ausbau von Staatsstraßen künftig immer ein straßenbegleitender Radweg mitgebaut werden soll. In der Praxis ist das jedoch nicht der Fall, Gegenbeispiele existieren zur Genüge. So wird die Staatsstraße 177 zwischen Radeberg und der A 4 aktuell neu gebaut - ohne Radweg. Auch an der S 32 bei Rossau und Kriebstein, der B 95 nördlich Annaberg sowie an der S 161 bei Hohnstein werden momentan Ausbauarbeiten ohne einen Radweg geplant. Der Koalitionsvertrag wird hier klar gebrochen.
Darüber hinaus hat sich der Freistaat in seiner Radverkehrskonzeption das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 500 Kilometer neue Radwege zu bauen. Während der Freistaat 2011 immerhin 30 km Radwege an Staats- und Bundesstraßen fertigstellte, rutschte der Wert 2020 auf 6,5 km ab. Nur 11% der sächsischen Staatsstraßen sind überhaupt mit einem Radweg ausgestattet, ein auch im bundesweiten Vergleich niedriger Wert.
Der Koalitionsvertrag sieht auch vor, dass die kommunale Förderung für den Radwegebau deutlich erhöht wird. Im Jahr 2020 stellte der Freistaat den Kommunen noch 11,7 Mio. Euro bereit, 2021 sank dieser Wert auf lediglich 2,4 Mio. Euro ab. Offensichtlich nimmt die Staatsregierung das Bundesprogramm „Stadt & Land“ aus dem Klimapaket zum Anlass, um sächsische Gelder einzusparen. Doch das ist natürlich nicht der Zweck des Klimapakets der Bundesregierung. Ganz im Gegenteil soll damit der Ausbau von Radwegeinfrastruktur durch Gelder beschleunigt werden, die bisherige Programme der Länder ergänzen. Kein anderes Bundesland entfremdet Gelder aus dem Klimapaket in dieser Weise. In anderen Bundesländern ist es üblich, dass die Kommunen zum Bundesprogramm „Stadt und Land“ Beratung erhalten und dass die Länder mit eigenen Landesförderrichtlinien dafür sorgen, dass die Mittel aus dem Klimapaket optimal eingesetzt werden. Verkehrsminister Martin Dulig weist eine derartige Verantwortung dagegen von sich.
Die sächsische Kenia-Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel Null Verkehrstote („Vision Zero“) bekannt. Doch zur Umsetzung dieses Bekenntnisses werden kaum konkrete Schritte unternommen. Insbesondere bei der Planung von Verkehrsanlagen und der Ausreichung von Fördermitteln steht in Sachsen ist die Vision Zero kein wesentliches Kriterium. Auch unterstützt der Freistaat Kommunen nicht dabei, mit Tempo 30 innerorts mehr Verkehrssicherheit zu schaffen. Im Gegenteil: Immer wieder gibt es Berichte, wonach das Land z.B. an Ortsdurchfahrten Bundesstraßen eine niedrigere Höchstgeschwindigkeit blockiert. Darüber hinaus regelt der Koalitionsvertrag, dass eine Handreichung zur Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen entwickelt werden soll, die es den Unteren Straßenverkehrsbehörden ermöglicht, Geschwindigkeitsreduzierungen rechtssicher anzuordnen. Eine derartige Handreichung sucht man bis heute vergebens.
Link zur Halbzeitbilanz des ADFC zum Radverkehr in Sachsen: https://sn.adfc-clouds.de/index.php/s/RsWwCrcxomKZtAx