Wie bisher keine Wahl zuvor ist die Bundestagswahl 2021 geprägt von der Frage, wie sich Deutschland auf die Folgen des Klimawandels einstellen und wie der Klimawandel als solcher möglichst wirksam gebremst werden kann. Neben Stromerzeugung und Landwirtschaft ist der Verkehrssektor eine der größten Emissionsquellen klimaschädlicher Gase.
Gute Ideen sind dabei am ehesten von den Betroffenen selbst zu erwarten, den Bürgerinnen und Bürgern. Da die Bundesregierung bisher keine besonders auffälligen Anstalten machte, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen, konstituierte sich Ende 2020 einem Aufruf der Scientists For Future folgend unter der Schirmherrschaft des ehemaligen bundespräsidenten Horst Köhler der Bürgerrat Klima. Der Bürgerrat besteht aus 160 zufällig ausgewählten Personen, die den Bevölkerungsschnitt der Bundesrepublik widerspiegeln. Er wird zudem von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Akteuren unterstützt.
Ende Juni veröffentlichte der Bürgerrat seine Ergebnisse: 10 Leitsätze und 83 konkrete Empfehlungen. Im Bereich der Mobilität ist das Gremium aus Alltagsexperten zu weitreichenden Beschlüssen gelangt. Auch der Radverkehr spielt eine große Rolle. Von den 84 Empfehlungen des Bürgerrats betreffen 20 das Handlungsfeld der Mobilität, von diesen wiederum sieben unmittelbar die Stärkung des Radverkehrs.
Mit einer Mehrheit von 97% angenommen wurde der Leitsatz Mobilität:
Alle Maßnahmen und Entscheidungen von Bund, Ländern und Kommunen im Bereich der Mobilität müssen ab sofort mit oberster Priorität das Ziel der weitgehenden Klimaneutralität berücksichtigen. Dabei soll der öffentliche Raum zum attraktiven Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen werden. Die Verkehrsvermeidung von klimaschädlichem Verkehr ist dabei ebenso wichtig wie die Verkehrsverlagerung auf attraktive, schnelle und sozial verträgliche Alternativen in Stadt und Land. Die Erfüllung der Mobilitätsbedarfe darf nicht vom Einkommen abhängig sein. Der öffentliche Verkehr, Radverkehr und Fußverkehr muss Priorität vor dem motorisierten Individualverkehr haben und im Fernverkehr der Bahnverkehr vor dem Flugverkehr.
Dies soll gelingen, indem Abstellmöglichkeiten für Fahrräder an Bahnhöfen, die Radmitnahme in Zügen und Fahrradverleihsysteme deutlich vorangebracht werden (Empfehlung #1). Bei Versprechungen und Zielsetzungen soll es jedoch nicht bleiben. In den nächsten fünf Jahren sollen 70% der verfügbaren Finanzmittel für Infrastruktur in den Ausbau von Gleisen und Radverkehr anstatt in den Straßenbau fließen (Empfehlung #3). Auch einem Tempolimit stimmten die Mitglieder zu (Empfehlung #7). Der ADFC fordert ein solches Tempolimit bereits seit mehreren Jahren. Um die Lärm- und Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die Verkehrssicherheit zu erhöhen, soll die Bundesregierung ein generelles Tempolimit erlassen. Auf Bundesautobahnen sollten Kraftfahrzeuge dann nur noch maximal 120 km/h schnell sein, auf Landstraßen sollten 80 km/h gelten und innerorts empfiehlt der Bürgerrat eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h. Damit die Verkehrswende kein von der Bevölkerung abgehängtes Projekt wird, soll Mobilitätsberatung und Öffentlichkeitsarbeit für die nachhaltiges Mobilitätsverhalten gestärkt werden (Empfehlung #9). Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden, ihren Angestellten Alternativen zum Arbeitsweg mit dem Auto anzubieten. Dazu zählt das Angebot von Jobrädern und Umkleidemöglichkeiten. Der ADFC vergibt hierzu das Zertifikat „Fahrradfreundlicher Arbeitgeber“, mit dem Arbeitgeber ihre Attraktivität für Beschäftigte erhöhen und zeigen, dass auch sie etwas tun können, um mehr Leute zum Radfahren zu ermutigen. (Empfehlung #11). Empfehlung 13 des Bürgerrats bezieht sich explizit auf den Ausbau des Radverkehrsnetzes in Deutschland. Das betrifft einerseits ein hochwertigesseparates Radwegenetz in den Städten, andererseits komfortable Radverkehrsnetze auf dem Land sowie den Ausbau eines Radschnellwegnetzes und sicherer Abstellanlagen für Fahrräder. Der Bürgerrat Klima schlägt außerdem ein Fördersystem für den Kauf von E-Bikes und E-Lastenrädern vor, um deren Nutzung weiter zu befördern.
Die Handlungsempfehlungen des Bürgerrates zeigen: für eine klimafreundliche Verkehrspolitik ist die Förderung des Radverkehrs unverzichtbar. Alle Maßnahmen und Entscheidungen des Bundes, der Länder und Kommunen, auch im Bereich Mobilität, müssen die Klimaneutralität berücksichtigen. Dabei darf die Wahl des Verkehrsmittels nicht vom Einkommen anhängig sein. Der ÖPNV, sowie der Fuß- und Radverkehr müssen immer Priorität vor dem motorisierten Individualverkehr haben.
Von den Forderungen des zufällig zusammengesetzen Bürgerrats zur Bundestagswahl ist der ADFC nicht weit entfernt: Im „Aktionsplan Fahrradland“ haben wir ganz ähnliche Ziele für die Bundespolitik ausformuliert. Neben einer neuen Verfassung für den Straßenverkehr braucht es außerdem einen tragfähigen Haushalt mit genügend Mitteln, um den Ausbau des Radnetzes voranzutreiben. Zudem werden mehr Personal und Ressourcen in der Politik und Verwaltung benötigt. Der ADFC sieht mit dem Ausbau der Radinfrastruktur Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz verbunden und setzt sich für eine nachhaltige Stadt- und Verkehrsentwicklung ein. Auch bei den Themen gerechte Flächenverteilung, Priorisierung des Rad- und Fußverkehrs und des ÖPNV, sowie bei einem Tempolimit außer- und innerorts decken sich die Interessen des ADFC mit den Empfehlungen des Bürgerrates.
Im Herbst dieses Jahres wird der Bürgerrat die ausgearbeiteten Handlungsempfehlungen offiziell der Bundesregierung übergeben. Sollte diese die Leitsätze zum Radverkehr umsetzen, könnte dies ein entscheidender Schritt in Richtung des „Fahrradland 2030“ sein. Politischen Willen und parlamentarische Mehrheiten vorausgesetzt.